Es berichtet von den Nordrhein-Meisterschaften U13 in Velbert Coach Alice Buscher:
Die beiden Medaillengewinner könnten unterschiedlicher und gleicher nicht sein: Daniel macht seit mehreren Jahren Judo, nimmt an jedem Wettkampf teil, der ansteht und sammelt eine Medaille nach der anderen; Carina macht seit Oktober 2021 Judo und hat am Samstag an ihrem fünften Wettkampf teilgenommen.
Beide haben den unbedingten Willen Gold zu gewinnen und wollen von verlieren nichts wissen. Gar nichts.
Der Wille kann Berge versetzen.. denn als wir mit Carina die Taktik für den ersten Kampf aufgestellt haben (gegen die Bezirksmeisterin, gegen die Carina vor zwei Wochen recht eindeutig verloren hat), wo es hieß sie solle länger kämpfen, als beim letzten Mal, die Gegnerin so gut es geht unter Druck setzen und nicht verzweifeln, wenn es nicht klappen sollte - da zeigte sich im Kampf, dass Carina von einer solchen "Verlierer-Taktik" nichts hält: die ersten zwei Minuten kam die Gegnerin zu keinem einzigen Ansatz, Carina hatte mehrere starke Attacken im Stand und einen kurzweiligen Haltegriff im Boden. Ich war begeistert. Einen solchen Mut und Siegeswillen kenne ich noch von keinem Sportler, ich stelle mir aber vor, dass Grazyna so gewesen ist.
Zurück zum Kampf: leider kontern erfahrene Judoka und unerfahrene Judoka müssen (bald) lernen mit diesen Kontern umzugehen. So kam es zu einem O-soto-gari-Konter nach zwei Minuten Kampfzeit. Die kritische Phase beginnt genau jetzt: Kampf verloren, Ziel nicht erreicht, Gold ist weg. Carina konnte sich fokussieren, denn der nächste Kampf war der Kampf um die (irgendeine andere) Medaille. In der Gewichtsklasse mit fünf Mädchen würde es reichen einen Kampf zu gewinnen, um auf das Podest zu kommen. Carina erledigte die Aufgabe in 13 Sekunden, drei, um zu werfen, zehn, um festzuhalten. Minimalziel erreicht, und Freude war zum Glück auch da. Wir haben uns gefeiert. Aber zwei Kämpfe standen noch an. Die nächste Gegnerin hatte bisher alles technisch sauber gewonnen, auch gegen die Bezirksmeisterin. Meine "Verlierer-Taktik" stand wieder im Raum, aber Carina hatte natürlich keine Lust darauf: Sie griff das Mädchen erbarmungslos an, fiel aber im ersten Drittel des Kampfes Wazari, sodass der Rückstand eingeholt werden musste. Das machte der weiß-gelb-Gurt natürlich. Selber mit Konter - meine Theorie, dass man Erfahrung für Konter braucht geht an dieser Stelle nicht auf. Trotz dieses Befreiungsschlags ging auch dieser Kampf am Ende mit einem wunderschönen O-soto-gari im perfekten Moment aus. In diesem Moment hätte das Mädchen jeden von uns geworfen. Es war phantastisches Judo.
Zweite Krise muss bewältigt werden: auch Silber wird es nicht sein, durchatmen, trinken, durchatmen.
Letzter Kampf: die Gegnerin aus Hennef hat vor zwei Wochen nach einem äußerst turbulenten und Kampfrichter-technisch sehr zweifelhaften Kampf gegen Carina gewonnen, Rache war also Programm. Aber der Plan ging nicht auf, die Henneferin war hart im Griffkampf, aber wenig in Technik, hielt Carina kurz im Haltegriff, würde bei einer Kampfrichterentscheidung wahrscheinlich gewinnen. Neun Sekunden waren vor der letzten Aktion noch auf der Uhr, ich rief Carina rein, dass sie jetzt alles reinwerfen muss "O-goshi, nein, O-soto-gari!" Und ich glaube, als Carina wirklich einen Soto-maki-komi-mäßigen O-soto-gari einen Moment vor dem Schlusssignal Ippon geworfen hat, habe ich vor Freude laut gejubelt. Unglaublich. Was für eine Kämpferin. Auf dem Foto neben den viel höheren Gürteln als sie ihn hat, sieht sie so unauffällig und zurückhaltend aus. Was für ein außergewöhnlicher Mensch.
Dieser Wille kann uns aber auch hemmen. Wenn wir ihn als Druck in unseren Kopf und Körper lassen. Daniel wollte an diesem Tag zu sehr gewinnen. Er konnte sich weder konzentrieren, noch schnell oder locker sein. Er hat Fehler gemacht, die ihm sonst nicht unterlaufen. Ich habe ihm nach seinen vier Kämpfen (wie bei Carina waren fünf Jungen in der Gewichtsklasse) das Zitat von Ronda Rousey genannt: "Ich möchte jeden schlagen - an meinem schlechtesten Tag." Daniel hat das mit drei Siegen und einer einzigen Niederlage an diesem Tag fast geschafft.. noch so ein außergewöhnlicher Mensch. Gratulation zu diesen wirklich großen Leistungen!
Aber auch die zwei siebten Plätze in der mehr besetzten Gewichtsklasse bis 34 kg möchte ich loben. In der gesamten Meisterschaftsreihe (Kreismeisterschaft, Bezirksmeisterschaft, Nordrhein-Meisterschaft) mussten diese beiden viel kämpfen, einstecken und wegstecken. Auch im Training lief es nicht immer optimal. Jannick hat sich gut entwickelt und trainiert besser denn je. Seine Unverkopftheit führt zwar im Training zu weniger Effektivität, äußert sich im Wettkampf allerdings durch eine immer gleiche (momentan gleichgute) Herangehensweise an die Kämpfe. Seinen Gegner und Bezirksmeister von vor zwei Wochen konnte Jannick dank eines guten Plans dermaßen unter Druck setzen, dass dieser diesmal nur knapp, mit Wazari, gewinnen konnte - vor zwei Wochen war Jannick nach 30 Sekunden weg vom Fenster. Das ist ein großer Fortschritt gewesen. Und Keanu hat sich zu Herzen genommen, was wir am Donnerstag beim Training über die Einstellung im Wettkampf, den "Wettkampfmodus", gesagt haben. In jedem seiner Kämpfe war er konzentriert, diszipliniert und fokussiert. Wenn ihr beiden den Wettkampfmodus jetzt noch im Training in einer zu euch passenden Version einsetzten würdet, dann wären bald die siebten Plätze Geschichte. Ihr habt es alle drauf, und ich glaube an euch. Ich werde euch immer maximal unterstützen.
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